Es geht ums Ganze!

An dieser Stelle Crossposten wir einen Artikel von Juergen Neumann, welcher zuerst auf freifunk.net erschienen ist und der die aktuellen politischen Herausforderungen für die Freifunk Community, aber auch die freie Software Community im Allgemeinen gut zusammenfasst.

 

Während die Öffentlichkeit gerade erfährt, wie wichtig das sogenannte „digitale Glas Wasser“ - nämlich der freie Zugang zum Internet via WLAN – besonders auch im Kontext der Flüchtlinge - ist, unternehmen EU und Bundesregierung alles Erdenkliche, um dem freien WLAN den Garaus zu machen.

 

Fehlende Rechtssicherheit

Nach wir vor halten wir den aktuellen Entwurf der Bundesregierung zur Neuregelung des Telemediengesetzes für ungeeignet, um die Ausbreitung freier WLAN Netze zu fördern und die Störerhaftung ein für alle Mal rechtssicher abzuschaffen. Detaillierte Informationen hierzu finden sich unter http://freifunkstattangst.de .

EU beschließt Firmware Lockdown

Weitestgehend unbemerkt hat die EU Kommission ein Gesetz verabschiedet, das den Austausch der Betriebssoftware (Firmware) auf Geräten mit Funkmodulen (also z.B. WLAN Routern) verhindern soll (http://www.heise.de/netze/meldung/Funkregulierung-Angriff-auf-alternativ...). Die amerikanische Regulierungsbehörde FCC berät gerade über ein ähnliches Gesetz. Damit würde jedweder Innovation in diesem Bereich ein massiver Riegel vorgeschoben. Initiativen wie Freifunk, aber auch kommerzielle Anbieter wie DD-WRT (www.dd-wrt.com) oder Hotsplots (www.hotsplots.de) könnten dann nicht mehr ihre eigene Firmware auf WLAN Geräten installieren. Selbst Laptops und PCs mit WLAN wären betroffen, wenn dort z.B. LINUX installiert werden soll.

Öffentliche Funkfrequenzen werden versteigert

Obwohl sich WLAN als Erfolgsgeschichte auf der ganzen Welt in unzähligen Anwendungsszenarien ausgebreitet hat, so hat es doch einen entscheidenden Nachteil. Die genutzten Funkfrequenzen im 2.4 und 5 GHz Band sind nur bedingt geeignet, Funksignale störungsfrei zu übertragen, denn sie benötigen außerhalb des Nahbereichs eine Sichtverbindung. Schon eine Wohnungswand oder ein Baum können das Signal erheblich beeinträchtigen. Zum anderen gibt es mittlerweile in Ballungsräumen so viele WLAN Geräte, dass die wenigen zur Verfügung stehenden Funkkanäle nicht mehr ausreichen, um stabile Netzwerkübertragungen zu ermöglichen. Durch die Umstellung auf digitales Fernsehen sind nun wesentlich bessere Frequenzen im unteren Spektrum frei geworden. Doch anstatt dieses Gemeingut zumindest teilweise für die öffentliche und lizenzfreie Nutzung (z.B. für WLAN) zur Verfügung zu stellen, wurden und werden sie an die großen Telekommunikationsunternhmen versteigert. Kaum jemand versteht, dass dies durchaus damit vergleichbar ist, z.B. die Wasserversorgung zu privatisieren. Denn im 21. Jahrhundert spielt die mobile Kommunikation eine ebenso wichtige Rolle, wie es ja mit dem „digitalen Glas Wasser“ eigentlich bereits sehr gut umschrieben ist.

Ende der Demokratisierung der Kommunikationsmedien

Während also weite Teile der Bevölkerung gerade erst dabei sind, langsam die Bedeutung zu verstehen, wofür sich Freifunk und ähnliche Initiaven und Organisationen in Deutschland und anderen Ländern seit über 10 Jahren engagieren, wird gerade jetzt versucht, dem systematisch den Garaus zu machen. Sei es aus technischem und netzpolitischem Unvermögen oder aus Interessenswahrung der von Lobbyisten gut vertretenen Großunternehmen. Lange Zeit wurde immer wieder darauf verwiesen, dass der Staat und die Telekommunikationskonzerne die Aufgabe der flächendeckenden Breitbandversorgung gemeinsam schaffen würden. Doch wie viele DSL, UMTS, WiMAX und LTEs brauchen wir eigentlich noch, bis alle mal begriffen haben, dass es immer Menschen geben wird, für deren Versorgung sich niemand einsetzen wird? Sei es, weil es sich wirtschaftlich nicht lohnt, weil es politisch nicht gewollt ist, oder beides. Wenn heute darüber diskutiert wird, ob Flüchtlinge überhaupt einen Internetanschluss benötigen, und es Menschen in- und außerhalb von Behörden und Betreibergesellschaften gibt, die ihnen genau das verweigern wollen, dann kann man spüren, um was es geht.

 

Empowerment = Hilfe zur Selbsthilfe

Leider lesen wir viel zu oft über Hacker, Netzaktivisten und Nerds als eine Art humanoide Spezies, der es an Bezug zur realen Welt mangele. Doch nicht erst seit dem sogenannten „arabischen Frühling“ und des darauf folgenden NSA Skandals dürfte mehr Menschen klar geworden sein, wie real die Netzwelt inzwischen geworden ist. Deshalb brauchen wir mehr Menschen, die sich mit Netz- und Computertechnologien beschäftigen, sie besser verstehen und besser mit ihnen umgehen können. Projekte wie Freifunk bieten dazu ein ideales Umfeld. Menschen lernen die Funktionsweisen des Internets kennen, können sich selbst eigene Infrastrukturen aufbauen und sorgen ganz nebenbei für eine Vielzahl von wichtigen Innovationen in diesem Bereich. All das funktioniert auf Basis der freien Software OpenWrt, einer Open Source Linux-Distribution speziell für WLAN Router und andere Kleinstcomputer (Embedded Devices). Ziel aller Freifunk-Aktivitäten ist es, nicht nur sich selbst, sondern auch andere in die Lage zu versetzen, Computer- und Netzwerktechnologien zu begreifen und für die eigenen Zwecke einzusetzen. Gerade im Bereich der spontanen und automatischen Vernetzung von Geräten untereinander (ad-hoc mesh networking) hat Freifunk gemeinsam mit ähnlichen Communities auf der ganzen Welt erhebliche Innovationen und Weiterentwicklungen voran getrieben. Diese, größtenteils ehrenamtlich erbrachte Forschungs-, Entwicklungs- und Weiterbildungsarbeit sind heute der Grund dafür, warum es z.B. in Deutschland über 200 ehrenamtliche Freifunk-Initiativen gibt, die in ihren Städten und Gemeinden schnell, kostengünstig und unkompliziert für ein Freies WLAN sorgen können. Schneller und besser als jede andere Organisation in diesem Land! Ähnliche Erfahrungen haben in der Vergangenheit bereits auch viele Menschen in sogenannten Entwicklungs- und Schwellenländern gemacht, wo dank WLAN-Meshing schnell und kostengünstig dringend benötigte Kommunikationsinfrastrukturen zur Internetversorgung geschaffen werden konnten. Auch in den USA beschäftigt man sich intensiv mit Freifunk und Community basierten Mesh-Netzwerken, um beispielsweise in Katastrophenszenarien schneller wieder eine Kommunikationsmöglichkeit zu haben, als dies durch staatliche Behörden wie Polizei, Feuerwehr oder Armee möglich ist.

 

Die Probleme an der Wurzel packen

Wenn wir also verhindern wollen, dass das eben gerade erst heranwachsende zarte Pflänzchen von freier und demokratischer Kommunikationsinfrastruktur nicht sofort wieder platt gewalzt wird, dann müssen wir uns jetzt alle gemeinsam anstrengen und den notwendigen politischen Druck aufbauen, um zu den richtigen Entscheidungen und Weichenstellungen zu kommen.  Wir müssen uns auch davon befreien, dass wir in der digitalen Welt jeden und alles kontrollieren und überwachen wollen. Dazu gehört, dass der freie und anonyme Zugang ohne Authentifizierung zum Internet erhalten bleibt und dass es nicht zur Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung kommt, auch wenn uns bewusst ist, dass es schwarze Schafe geben wird. Das ist der sogenannte Preis der Freiheit, den wir zum Beispiel im Straßenverkehr mit über 4000 Toten jährlich auch irgendwie zu bezahlen bereit sind. Deshalb hier unsere 3 zentralen Forderungen:

 

 

  • Es muss weiterhin möglich sein, freie/Open Source Betriebsysteme und generell andere Software auf Geräten installieren und betreiben zu dürfen. Das EU Gesetz muss zurück genommen werden.

 

 

 

[Update 18:16h]

Der ursprüngliche Link zum EU Dokument bezgl. Firmware Lockdown ist plötzlich tot:

http://eur-lex.europa.eu/legal-content/EN/TXT/?uri=celex:32014L0053. Deshalb wurde im Text nun auf einen Heise Online Artikel dazu verlinkt.

Quelle: http://blog.freifunk.net/2015/es-geht-ums-ganze der Artikel steht unter einer Creative Commons Attribution-Share Alike License.